Die Nelkenrevolution
Moritz 15. Mai 2024
Portugal hat eine über 40 Jahre dauernde Diktatur hinter sich. Dass es seit 50 Jahren ein demokratisches Land ist, hat vor allem mit seinen Streitkräften zu tun – aber auch mit Portugals Geschichte als Kolonialmacht.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Nelkenrevolution
Warum nicht auch die Geschichte des Landes kennen, das man bereist? Wer sich mit der Geschichte Portugals beschäftigt hat, hat bestimmt schon von der Nelkenrevolution gehört. Mit dieser wurde am 25. April 1974 die faschistische Diktatur abgeschafft. Das Ereignis jährt sich heuer zum 50. Mal.
Zwei Dinge stechen bei dieser Revolution heraus: Erstens verlief sie fast komplett friedlich, nur vier Leute starben. Zweitens war es das portugiesische Militär, das die Diktatur in die Knie zwang und die Demokratie brachte. Dass ein Heer eine Diktatur abschafft, ist eher ungewöhnlich – man denke an die Militärdiktatur in Ägypten, die nach dem Arabischen Frühling entstand, an die Putsche der letzten Jahre in Westafrika, oder an Lateinamerika, wo im Verlauf des 20. Jahrhunderts mehrere Heere auf Kosten unzähliger Menschenleben die Macht übernommen und die Demokratie abgeschafft hatten.
Doch genau das war in Portugal umgekehrt. Das Militär schaffte die über vierzig Jahre währende faschistische Diktatur ab, die António Salazar begründet hatte. Salazar war 1928 während einer großen Wirtschaftskrise Finanzminister geworden, hatte einen rigiden Sparkurs eingeführt, den er seine gesamte Herrschaft über beibehalten sollte, und wurde 1932 Premierminister. Als solcher gründete er den Estado Novo, den „Neuen Staat“, zu dem die Unterdrückung der Meinungs- und der Pressefreiheit ebenso zählte wie die Zwangsmitgliedschaften in Arbeitnehmervertretungen ohne Möglichkeit zur Mitsprache. Andersdenkende wurden von der Geheimpolizei, der PIDE (Polícia Internacional e de Defesa do Estado, Internationale Polizei und Staatsschutz), verfolgt – just jene Organisation, deren Weigerung, das Ende der Diktatur zu akzeptieren, zu vier Toten geführt hatte. In einem Gebäude der Geheimpolizei hatten sich Spitzel verschanzt, die sich mit dem Heer einen kurzen Kampf lieferten.
Wie schlimm die politische Verfolgung war, zeigt die Begebenheit, der die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ihre Existenz verdankt. Der Ursprung der NGO liegt nämlich im faschistischen Portugal. Zwei Studierende tranken in einem Lokal in Lissabon auf die „Freiheit“. Für die am Ort befindlichen Spitzel war das bereits zu viel: Sie nahmen die beiden Personen fest, die Studierenden wurden zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ein britischer Anwalt erfuhr davon in den Medien und sah es als Anlass, Amnesty International zu gründen.
Das Armenhaus mit den Kolonien
Von der politischen Verfolgung Andersdenkender abgesehen gab es im Land kaum Chancen zur persönlichen Entwicklung. Das Bildungssystem war schwach ausgeprägt und in den Händen der katholischen Kirche. Portugal galt nach 1974 nicht nur als die am längsten gewährt habende Diktatur Europas, sondern auch als Armenhaus des Kontinents. Das Absurde daran: Dieses Armenhaus hatte Kolonien.
Wie Portugal zur Seefahrernation wurde, haben wir schon beschrieben: Im 15. Jahrhundert soll Prinz Dom Henrique in der Nähe des Cabo de São Vicente an der Algarve eine Seefahrerschule gegründet begründet haben. Das war der Grundstein für den portugiesischen Imperialismus.
In Afrika waren die Kolonien unter anderem Cabo Verde (Kapverden), Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe und Mosambik, in Asien Osttimor, Macau und Gebiete in Indien. Das ist ein weiteres Detail an Portugal, das ungewöhnlich ist: Kolonien bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Diese strebten in die Unabhängigkeit. Und das so vehement, dass das portugiesische Heer der Meinung war, diesen Kampf könne es mit den bestehenden Mitteln nicht gewinnen. Statt aber ein höheres Budget zu fordern, um die Kämpfe zu gewinnen, entschied sich das Heer für einen radikalen Schnitt – die Abschaffung der Diktatur und die Wende hin zur Demokratie. Maßgeblich beteiligt war der MFA, der Movimento das Forças Armadas (Bewegung der Streitkräfte), eine Gruppe von jungen, eher linken Soldaten. Doch auch ranghohe konservative Militärs wie der General António Spínola zählten zu den Unterstützern einer Revolution. Nach dem Umsturz würde er der erste Präsident der dritten portugiesischen Republik werden.
Grândola, Vila Morena: Die Revolution
In den Morgenstunden des 25. April war es so weit: Im Radio ertönte das verbotene Lied Grândola, Vila Morena (Grândola, braungebrannte Stadt). Das war das Signal für die Revolutionäre, loszulegen. Aktiv zur Wehr setzten sich nur die erwähnten Beamten der Geheimpolizei. Regierungschef Marcelo Caetano, der 1968 das Zepter von Salazar nach dessen Schlaganfall übernommen hatte, dankte nach einigen Stunden ab, allerdings nur unter der Bedingung, dass Spínola an seiner Stelle die Macht übernahm.
Zum Dank für die Abschaffung der Diktatur und die friedliche Revolution steckte die Zivilbevölkerung den Soldaten Nelken in die Gewehre. Darauf geht der Name der Bewegung zurück (portugiesisch Revolução dos Cravos).
Mit einer Frage sollte sich Portugal allerdings auseinandersetzen: War es wirklich das portugiesische Heer, das die Demokratie gebracht hat? Oder haben nicht eher die Kolonien mit ihren Unabhängigkeitskämpfen das „Mutterland“ demokratisiert? Unabhängig von der Antwort dieser Frage ist jedoch klar: Die portugiesischen Streitkräfte genießen auch heutzutage noch hohes Ansehen im Land im äußersten Südwesten Europas. Denn in den ersten Jahren nach der Revolution gaben die Streitkräfte der jungen Republik Stabilität. Vielleicht ist das mit ein Grund, weshalb Portugal im kürzlich veröffentlichten Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen im Spitzenfeld zu finden ist.
- Traditionsreiches Portugal
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