Monatsarchiv für August 2009

Evolution

24. August 2009

Da die mehr als 5000 Millionen Jahre, die die Erde gebraucht hat, sich zu entwickeln nicht wirklich vorstellbar sind, gibt es das 100-Jahre Modell, welches unserem beschränkten menschlichen Zeitbewusstsein auf die Sprünge hilft.

Demnach formten sich die ältesten uns bekannten Gesteine im Jahre 15, und das erste, noch recht primitive Leben in Form von Bakterien und Algen erschien 12 Jahre danach. Dann war lange Zeit nichts. Dh, die Algen wurden größer und gingen mal mit den Bakterien aus – aber sonst war, außer dass die Kontinente auseinanderdrifteten und man plötzlich Verwandte in Amerika haben konnte,  nicht viel los – bis, endlich! im Jahe 92 hie und da Amphibien aus den Ozeanen krabbelten – noch recht verschüchtert, aber glücklich, mal die Sonne zu sehen.

Vor drei Jahren gabs Dinosaurier, aber vor zwei starben sie wieder aus. Vor drei Wochen probierte in Afrika der erste Halbaffe den aufrechten Gang und erfand Axt, Bohrer und Vorlegegabel, vor 2 Stunden endete die letzte Eiszeit und man konnte wieder oben ohne gehen.

Vor 2 Minuten begann die Industrielle Revolution, vor 3 Sekunden betrat Neil Armstrong den Mond (eigentlich wäre das die beste Gelegenheit für ihn gewesen, sein berühmtes „What a wonderful world“ zu spielen – warum eigentlich tat er es nicht?) –  und vor 1 Minute springt plötzlich in unserem Büro die Tür auf und Karl-Heinz Müller präsentiert uns triumphierend einen Thermometer, den er eben noch unten am Praia Dona Ana ins Meer getaucht hat:

„Da, sehen Sie sich das an: 18,825!“ Und als wir verständnislos nicken, zieht er einen zerknautschten Prospekt aus seiner Bermudashorts: „Und hier steht schwarz auf weiß! Im August hat der Atlantik bei Lagos 20 Grad!“

Nachtmensch Portugiese

11. August 2009

Ich war im CCL, das ist das Centro Cultural de Lagos, und dort tanzte das Nationalballett – in einem Tempo, das einem allein schon beim Zusehen den Atem raubte. Die Vorstellung begann um 22 Uhr – das ist noch eine moderate Zeit, normalerweise beginnen Konzerte in Portugal um 23 Uhr und man macht sich zwei Stunden vor Mitternacht zusammen mit den Kindern zum Abendessen auf. Nach einer statistischen Untersuchung ist Portugal die Nation in Europa, die am spätesten schlafen geht. Die Nacht gehört der Familie und den Freunden, wann sonst sollte man sie so entspannt sehen?
In einem Land, in dem Firmenmeetings morgens um zwei in Hotelzimmern abgehalten weren (die Angestellten hocken auf dem Boden oder zu siebt auf dem Bett), in dem das Kinderfernsehprogramm um Mitternacht endet, in dem sich die Betreiberin einer Modeagentur morgens um fünf (ein erster Streifen Rot ziert schon den Horizont) von ihrer Sektretärin die Termine der kommenden Woche durchgeben lässt – ist die Nacht zu schade, um sie in schnöder Bewusstlosigkeit im Bett zu verbringen.

Der Spuk im Kulturzentrum war genauso schnell wieder vorbei wie er begonnen hatte: Um 22 Uhr fünf erloschen die Lichter im Auditorium, eine Stimme sagte, wir freuen uns, die Truppe des Nationalballetts bei uns begrüßen zu können, dann fing die Vorstellung ohne weiteren Kommentar an. Eine Pause nach 25 Minuten, dann straff weiter bis zum Finale, langer Applaus, Vorhang, – innerhalb von zehn Minuten war der Ort des Geschehens wie ausgestorben.
Der Portugiese genießt Kultur im Eiltempo. Phantastisch, die Vorstellung – doch nun lasst uns noch flott einen Happen essen und dann schnell bei Filipe vorbei sehen und vielleicht später noch eine kleine Runde durch die Stadt.

Der Küstenwind fegt, die Touristen bummeln, die portugiesischen Jungs knutschen mit ihren Freundinnen, währenddessen sie am Handy fürs Morgengrauen Verabredungen treffen – nachher bei Zé, o.k, está bem, até logo, beijinhos, bis denn!